Chronik

04.06.2004

 

"Sind wir die einzigen, die rebellieren?"
Erstmals soll es konkret werden beim Stadtumbau Ost - doch um so stiller wird es um das Großvorhaben

"Sind wir wirklich die einzigen, die rebellieren?" Heidrun John schaut ungläubig auf die Plattenbauten in der Nachbarschaft. Dort ist es ruhig. Nur die Mieter aus der Ostrowskistraße 7 sind auf den Beinen. "Das Haus bleibt stehen, sonst bauen wir uns ein neues", zwinkern sie sich zu. In der Ostrowskistraße funktioniert noch das, was man Hausgemeinschaft nennt. Wo anderswo Einzelkämpfer stehen, erwartet hier den Vermieter ein ganzes Protestkommando. Familie Kaiser, Mitschke, Rädel, Pfeifer, Becker, Böhme und Laube haben einen schlimmen Verdacht: Ihr Haus soll abgerissen werden. Doch in diesem Fall, so viel ist klar, soll das Mammutprogramm Stadtumbau Ost auf Widerstand stoßen.

Herausbekommen haben die Mieter die neue Nachricht nur zufällig. Unbeantwortet gebliebene Nachfragen beim Eigentümer GWB "Elstertal", warum der Hausflur noch immer im Originalzustand wie vor 25 Jahren ist, nährten den Verdacht. Schließlich offenbarte ein Blick auf den Rahmenplan des Stadtteils: Der Straßenzug am Rande von Bieblach liegt außerhalb des künftigen Kernbereiches. Der Ostrowskistraße droht Teilrückbau oder Abriss. Die Mieter sind geschockt. Kaisers zum Beispiel haben "in Wohnung in Spitzenlage" 10000 Euro investiert.

Der Fall steht dafür, woran das vor zwei Jahren gestartete Programm Stadtumbau Ost leidet: Gezeichnet waren die Pläne schnell, sie umzusetzen, ist schwieriger als gedacht. Nach anfänglichen Informationsveranstaltungen ist es um den Stadtumbau still geworden. Wenn es um konkrete Straßenzüge geht, die aus dem Stadtbild verschwinden sollen, verweisen die Stadtplaner auf die Eigentümer und die schweigen sich so lange wie möglich aus. Dem Mieter schwant das böse Erwachen. Indes sind im Rahmenplan Bieblach- Ost schon mal ganze Blöcke als Grünfläche ausgezeichnet. Auf den ersten Blick fällt kaum auf, dass in die Gießnerstraße Häuserzeilen fehlen. Nur Verständnis, das soll der Mieter im Ernstfall für den großen Plan schon haben.

Das ehrgeizige Vorhaben der Stadt, nicht einfach wie in Suhl den Leerstand durch Abriss eines ganzen Plattenbauviertels zu beseitigen, sondern alle Stadtteile wenn auch verkleinert zu erhalten, beschwört eine ganze Gemengelage an Interesse herauf. Auch wenn sich alle im großen Ziel einig sind: eine Stadt mit singenden Einwohnerzahlen braucht das vom Bund geförderte Stadtumbau- Programm für den geordneten Rückzug. Um die Abwanderung nicht noch zu beschleunigen, Infrastruktur nicht ins Leere laufen zu lassen. Im schlechtesten Fall wird Gera im Jahr 2020 noch 80 000 Einwohner zählen.

Darauf nicht zu reagieren, wäre fatal. Bis dahin müssten jedes Jahr 1000 Wohnungen fallen, um den Leerstand aufzufangen, rechnet Stadtplaner Thomas Leidel. Der Bedarf schrumpft in Bieblach und Lusan um 50 Prozent. Die Kernbereiche fürs Wohnen sind auf dem Papier auch festgezurrt, doch dass Eigentümer außerhalb diesen Zonen freudig rückbauen, ist ein Wunschtraum. In der Praxis sieht alles anders: Der Leerstand steigt weiter, derzeit sind 14 600 Wohnungen unbewohnt. "Wir haben nicht einmal geschafft, ihn zum Stoppen zu bringen". Bislang sind gerade mal 200 Wohnungen im Jahr abgerissen worden.

Weil die Förderquelle des Bundes nicht sprudelt wie erwartet. Die Gesamtplanung für Gera ist zu einem Zehntel untersetzt, rechnet Baudezernent Ramon Miller (SPD). Und weil die Eigentümer die Mieter natürlich halten wollen und zuerst die Alternativquartiere sanieren. In diesem Jahr wird der Stadtumbau interessant, die Pläne kommen dem Abriss- Ziel erstmals nahe. 927 Wohnungen sind für den Abriss und Rückbau zumindest angemeldet. 739 sollen im Gegenzug modernisiert werden. Was davon wirklich umgesetzt wird, hängt am Geld. Ein Punkt, weshalb Eigentümer ihre Mieter nicht voreilig informieren wollen. Schließlich sollen die so lange wie möglich bei der Stange bleiben und nicht zur Konkurrenz wechseln, bevor man eigene Umzugsangebote machen kann. Verunsichern wollte man auch nicht in der Ostrowskistraße. Erst 2005 werde über einen Rückbau entschieden. Vor 2006 wird sich dort nichts tun, schätzt die GWB auf Nachfrage. Und das nur, wenn Fördermittel kommen.

Interessen von Stadtplanern, Mietern und Unternehmen überein bringen, ist schwieriger als gedacht. "Wir haben inzwischen einen größeren Einblick in die unternehmerischen Bedingungen", räumt Leidel diplomatisch ein; auch einen Abriss muss man sicherst einmal leisten können. Nicht nur zwischen Wollen und Können klafft ein Spalt, auch den Konkurrenzgedanken hatten die Planer außen vor gelassen.
Und so kommt es, dass in Bieblach zum Beispiel im Kernbereich um die Becherstraße kaum saniert worden ist. Wohl auch mit dem Hintergedanken, dass hier treue Mieter wohnen die einst das Gebiet selbst mit aufbauten. Die Chance hat eine Genossenschaft erkannt und in unmittelbarer Nachbarschaft in der Majakowskistraße zwei Blöcke saniert, die eigentlich die Planer auf die Abschussliste gesetzt hatten. In Lusan gibt es die Probleme nur deswegen noch nicht, weil hier ein aktueller Rahmenplan aussteht.

Zugleich wollen die Stadtplaner mit dem Programm die Stadt neu wichten. Das Zentrum soll gestärkt aus den Umzugsplänen hervorgehen. Hier stehen derzeit 3650 Wohnungen leer. Bis 2020 sollen 2000 Familien aus den Randgebieten ins Zentrum gelockt werden. Doch dafür ist es momentan nicht attraktiv genug. Um das zu ändern, ist nicht nur mit sieben sondern 700 Eigentümern zu verhandeln. Keiner kann gezwungen werden, sein Haus abzureißen.

Ein Anfang sei Jetzt mit der Gründung des Arbeitskreises Innenstadt gemacht, sagt Leidel und ist auf der Suche nach modellhaften Projekten, die Fördermittel locker machen. Ein Weg ist die Erhaltungssatzung, die jetzt für ein vom Leerstand gebeuteltes Karre am Sachsenplatz greift, womit die Investitionszulage von 15 auf 22 Prozent klettert. Dass andererseits die Gewo jetzt in der Freitagstraße sanierte, hätten die Planer aus ihrer Sicht nicht befürwortet.

"Wir hatten gehofft, dass alles schneller geht", sagt Leidel. Baudezernent Miller ist zuversichtlich: Schon 2010 werde die Wohnattraktivität in Gera wesentlich gestiegen sein. Wiederum: Alles schön saniert, heißt auch, dass billiger, alter Wohnraum rar wird. Dabei, so beobachten Vermieter, gibt es auch hier durchaus Interessenten.

OTZ, 29.05.2004 -Mit freundlicher Genehmigung-



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